100 41691Podiumsdiskussion im Matthias-Ehrenfried-Haus mit Landtagskandidaten aus der Region Würzburg – Jesuitenpater Jörg Alt kritisiert im Einstiegsimpuls bayerische Staatsregierung deutlich

Würzburg (POW) Wie lassen sich von Bayern aus soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz voranbringen? Mit dieser Frage hat sich am Montag, 11. September, eine Podiumsdiskussion im Würzburger Matthias-Ehrenfried-Haus beschäftigt. Rund 90 Personen lauschten den Würzburger Direktmandats-Landtagskandidaten, die vom Eine-Welt-Forum Würzburg, zu dem auch die Diözesanstelle Weltkirche im Bistum Würzburg und das Generationen-Zentrum Matthias Ehrenfried gehören, eingeladen worden waren.

Zuvor gab Jesuitenpater Jörg Alt einen Impuls. Der Priester gerät wegen Straßenblockaden oder dem Retten von Lebensmitteln aus Containern immer wieder in die Schlagzeilen. „Bayern ist ein gutes Land für Protest, denn hier läuft verdammt viel schief“, sagte Alt. So sei weltweit das Klima im Schnitt um 1,2 Grad Celsius erwärmt, in Bayern dagegen bereits um 1, 9 Grad. „Wenn wir nicht schnell handeln, sind es in Bayern bis zum Ende des Jahrhunderts 4,8 Grad. Und Wasser ist bald wertvoller als Öl.“ Die bayerische Staatsregierung verspreche viel und rechne vieles schöner, als es in Wirklichkeit sei. So stiegen im Freistaat die CO2-Emissionen noch, was vor allem dem Bereich Verkehr geschuldet sei. Wenn die Renaturierung der Moore im staatlichen Besitz beispielsweise weiterhin in der gleichen Geschwindigkeit fortgesetzt werde, sei diese erst in 260 Jahren abgeschlossen. „Die Staatsregierung hat für sich verkündet, sie wolle bis 2023 klimaneutral sein. Sie selbst wusste aber bis 2021 nicht einmal, wie viel CO2 sie ausstößt.“

Auch in Sachen internationaler Wirtschaftsgerechtigkeit und Bekämpfung von Ursachen von Migration und Folgen des Klimawandels stellte der Jesuit der Staatsregierung ein schlechtes Zeugnis aus. Bayern als sechststärkste Volkswirtschaft innerhalb der EU investierte in der Entwicklungspolitik lediglich zehn Millionen Euro, deutlich weniger als für Grenzsicherung, Abschreckung und Abschiebung. International würden 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts als sinnvoller Betrag für Entwicklungsförderung im Globalen Süden erachtet, das wären im Fall Bayerns 4,3 Milliarden Euro.

Was das Klima angeht, setze sich Bayern nicht mit der wissenschaftlich fundierten Botschaft auseinander. Klimakleber würden in Präventivgewahrsam genommen. „Das Wegsperren der Botschafter löst keines der Probleme“, betonte Alt. Barack Obama habe völlig recht, wenn er sage: „Wir sind die erste Generation, die den Klimawandel spürt, und die letzte, die daran noch etwas tun kann.“ Das Zeitfenster zum Handeln laufe aus. Bis 2030 müssten die CO2-Emissionen um 43 Prozent sinken. Gewöhnliche Demos verhallten ohne Resonanz. „Wenn Du Aufmerksamkeit willst, setz Dich dem deutschen Auto in den Weg“, erklärte der Pater.

Und schon war die von Radio-Gong-Moderator Johannes Keppner geleitetete Diskussion mitten am Laufen. Heinz Braun von der ÖDP erinnerte an den Ressourcenverbrauch von anscheinend immer größer werdenden E-Autos und mahnte: „Wir brauchen ein am Allgemeinwohl orientiertes Wachstum.“ CSU-Kandidatin Dr. Andrea Behr berichtete davon, dass in Ecuador die Chinesen umfangreich in Infrastruktur investierten, aber zugleich praktisch alle Aufträge an chinesische Firmen gingen. Für Patrick Friedl von den Grünen gehen Lieferkettengesetz, Tariftreue und Sozialstandards Hand in Hand. „Wer wie die bayerische Staatsregierung in China CO2 kompensiert, hat nichts erreicht.“ SPD-Kandidat Alexander Kolbow hob hervor, dass viele Konsumenten sich kaum Gedanken machten, woher zum Beispiel die Rohstoffe der Handyakkus kommen. Es sei daher wichtig, den Konsum zu reduzieren. Deswegen habe er in der Würzburger Stadtratsfraktion Bonuszahlungen für autofreie Haushalte vorgeschlagen, dafür aber am Wahlkampfstand massive Kritik geerntet.

FDP-Bezirkstagskandidat Florian Kuhl, der den Landtagskandidaten Tobias Dutta vertrat, hob hervor, es sei wichtig, wirtschaftliches Wachstum und Neuerungen zu fördern, um den Umweltschutz zu stärken. Dimitry Nekhroshkov von der Linken monierte, dass deutsche Entwicklungshilfe oft nichts anderes als Subvention deutscher Unternehmen im Ausland sei. „Wir brauchen ein Transparenz- und Antikorruptionsgesetz. Zu viele Gesetze werden von Lobbyisten geschrieben.“

Unterschiedliche Ansichten gab es auch zur Frage, wie die Vorgaben des Pariser Abkommens umgesetzt werden können. Für Kuhl liegt die Zukunft im Ausbau regionaler nachhaltiger Energienetze. „Wir brauchen außerdem mehr Gewässerschutz mit weniger Bürokratie.“ Vieles in Sachen nachhaltiger Energieversorgung liegt laut Nekhroshkov im Argen, weil einige wenige Konzerne die Macht hätten. „Wir brauchen mehr Genossenschaften, die vor Ort das Thema eigenverantwortlich in die Hand nehmen.“ Großen Applaus erntete Braun für seine Forderung, Tempo 130 auf der Autobahn einzuführen und somit ein entscheidendes Signal zu setzen. Auch Inlandsflüge seien unnötig und daher zu verbieten. Die Menschen sollten wieder lernen, Lebensmittel regional und saisonal zu beziehen. Auch eine Ausschreibung von öffentlichen Projekten nur auf Bundesebene genüge und reduziere unnötigen Kraftstoffverbrauch. „Wir wollen nach 66 Jahren die CSU in der Opposition sehen“, sagte Friedl. Die Erderwärmung mache es nötig, politisch mit dem höchsten Tempo an die Aufgabe heranzugehen. Das bayerische Klimaschutzgesetz steht laut Friedl nur auf dem Papier. Behr ermahnte, erst nachzudenken und dann zu handeln, statt in blinden Aktionismus zu verfallen. So sei es in ihren Augen sehr kurzsichtig, als Antwort auf die akute Energieknappheit auf Kohle oder Frackinggas zu setzen. Ein „hü und hott“ bei der CSU wollte Kolbow sehen. „Söder war der erste, der nach Fukushima raus wollte aus der Atomenergie, und fordert jetzt eine Laufzeitverlängerung für Isar 2, aber will natürlich kein Endlager in Bayern.“

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„Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf beim Lieferkettengesetz?“, wollte Moderator Keppner von der Runde wissen. Behr unterstrich, dass ihr Parteikollege Gerd Müller das Lieferkettengesetz, das soziale und ökologische Standards in Ländern des Südens festlege, maßgeblich mitgeschrieben habe. „Es muss aber umgesetzt werden.“ Sie sehe Probleme aber auch in Deutschland. So gebe es Lithium beispielsweise in der Fränkischen Schweiz. „Wenn wir dort abbauen wollten, hätten wir schnell ein, zwei, drei Bürgerinitiativen dagegen.“ Für Friedl ist die Weichenstellung seitens der Politik sehr wichtig. Deutschland sei lange führend bei der Herstellung von Solarzellen gewesen. Durch falsche Vorgaben sei dieser Industriezweig in Deutschland praktisch tot. Für Kolbow müssten soziale und Klimastandards insgesamt besser werden. „Das bedeutet landesfaire Löhne und angemessener Arbeitsschutz.“ Auch FDP-Mann Kuhl stimmte dem zu. Nekhroshkov will die Schuld für Ausbeutung und Umweltzerstörung nicht auf den Konsumenten abwälzen. „Wir müssen umweltschädliche Rohstoffe besteuern.“ Für Braun besteht ein Mangel des Lieferkettengesetzes darin, dass kleine Internethändler keine Verantwortung für die Herkunft ihrer Waren übernehmen müssen. Und: „Es wird darüber geklagt, dass wir zu viel Elektroschrott produzieren, zugleich kann ich als Bürger viele Verwaltungsvorgänge gar nicht mehr ohne das Handy abwickeln. Ich selbst leiste mir aber noch immer die Freiheit, ohne Handy zu leben.“

Jesuit Alt zog am Ende der Diskussion eine Bilanz. „Mit den Leuten auf dem Podium hier könnten wir uns auf eine mutige Politik einigen. Allein je weiter man nach oben kommt, desto mehr Einfluss nehmen Lobbyisten und Kapital.“ Zudem sei es notwendig, am grundlegenden Narrativ zu arbeiten: „Wer in einer endlichen Welt an unendliches Wachstum glaubt, ist entweder ein Spinner oder Ökonom.“

Das Redemanuskript von Jörg Alt gibt es zum Download im Internet.

https://pow.bistum-wuerzburg.de/aktuelle-meldungen/detailansicht/ansicht/bayerns-beitrag-zu-klimaschutz-und-sozialer-gerechtigkeit/

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